Bill und ich rollen mit unseren BMWs entlang der amerikanisch-mexikanischen Grenze durch Tijuana. Welch ein Kulturschock! Rechts hinter einem mehrere Meter hohen, streng gesicherten Metallzaun die Neue Welt, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, links, gleich neben der Straße abgewrackte Häuser, halbe Ruinen, dicht bewohnt, enge Gassen, durch die der Wind den Müll treibt und Menschen in abgetragenen, löchrigen Klamotten.
Bill kennt das. Er kommt aus Kalifornien, war schon öfter hier. Zielsicher führt er uns auf den Highway in Richtung Ensenada, das einzige Stückchen Autobahn, welches wir für die nächsten 14 Tage unter die Stollenreifen nehmen werden. In Ensenada pulst das Leben. Die Straßen, gesäumt von unzähligen Geschäften mit bunten Schaufenstern sind voller Menschen und Autos. Sehenswert, das Eine wie das Andere. Krach machen sie alle. Laute Rufe und Musik klingen zwischen den Hauswänden, oft niedergerungen von den brüllenden Auspuffrohren der cruisenden Oldtimer und stinkenden Lastwagen. Mitten im Trubel lassen wir uns vor einem Restaurant auf die Stühle fallen, stimmen uns mit feurigen Tacos auf die kernige mexikanische Küche ein und bekommen auch gleich vom Straßenmusiker ein Ständchen gebracht.
Warm ist es, als wir eine halbe Stunde später die Hänge der Sierra San Pedro Mártir entern, deren Gipfel bis weit über 3000 Meter in den Himmel ragen. Der Gebirgszug trennt die Pazifikseite der Baja von der wesentlich milderen Golf-Küste. Der Highway 3 ist perfekt ausgebaut und führt wie eine weggeworfene Luftschlange in unzähligen Windungen durch die fantastische Felslandschaft. Und kaum rollen wir wieder hinunter, nähern uns dem Golf von Kalifornien, da steigen die Temperaturen von Kurve zu Kurve, von Meter zu Meter. Kalifornien, der Name leitet sich ab vom spanischen „calida forna“. Ich weiß jetzt auch warum – es bedeutet „heißer Ofen“. Der Wind treibt Sandschwaden über den Asphalt, Kakteen und stachelige Sträucher stehen Spalier.
Der erste Blick auf das Mar de Cortés, tiefblau liegt der Golf zu unseren Füßen. Noch zwei, drei Kehren, dann blicken wir in die Mündungen entsicherter Maschinenpistolen – einer der vielen Militärposten auf der Baja. Korrekt, meist freundlich aber bestimmt, durchstöbern die tarnuniformierten Soldaten die letzten Winkel der passierenden Fahrzeuge. Wir sind da keine Ausnahme. Taschen werden geöffnet, der Tankrucksack inspiziert. Auf der Suche nach Drogen wird nichts ausgelassen. Woher? Wohin? Der dröge Dienst in der gleißenden Sonne macht sicher neugierig. Ausführlich geben Bill und ich Auskunft.
Am Abend trudeln wir in San Felipe ein – ein lebendiges Küstenstädtchen, wo wir bis in die Nacht draußen sitzen, mexikanisches Bier und – natürlich – den regionalen Tequila probieren. Ins Motel Hacienda Don Jesus finden wir dann auch noch irgendwie – später.
Dass die Straßenkarten der Baja bisweilen lügen, ist nicht neu. Wir erfahren es am nächsten Morgen. Der erwartete Offroad-Trip entlang der Golfküste entfällt auf Grund des perfekten Asphalts. Auch gut! Zwischen Sanddünen und genialen Küstenpanoramen hindurch fliegen wir gen Süden. Frühstück gibt's am späten Vormittag bei Chelo's Cafe irgendwo auf der Strecke. Tiefschwarzer Kaffee, frischer Saft, scharfe Salsa auf leckeren Tortillas, Bohnen, Eier, Paprika und mehr – mexikanisches Frühstück eben.
Zehn Kilometer weiter, da, wo die Karte wieder eine fette, gelbe Linie zeigt, ist im wahren Leben Schluss mit topfeben. 56 Kilometer Dauerbaustelle quer durch die Landschaft weit ab von der ursprünglichen Piste versprechen lustiges Driften durch Staub und Schotter, knackige Schläge ins Fahrwerk und bisweilen wilde Sprünge über herrliche Bodenwellen. Unverhofft macht meine GS nach tiefem Eintauchen in einer Senke aus wenigstens 80 Stundenkilometern eine kernige Vollbremsung. Gut, dass Bill wegen des Staubs sowieso großen Abstand hält und ich nicht gerade in der Nase bohre. Irgendwie halte ich mich bis zum Stillstand auf der BMW. Ja, ich hab schon mal gehört, dass der GS-Spritzschutz abbricht. Aber dass er sich dann zwischen TKC-Stollen, Innenkotflügel und Rahmenheck verkeilt, ist eine neue Variante.
Bei Chapala, einem kleinen Nest, das die Bezeichnung Dorf nicht verdient, biegen wir wieder auf den Highway 1 ein, die große, zügige Nord-Süd-Verbindung. Noch ein Abstecher, dann passieren wir das Ortsschild von Bahia de Los Angeles. Bill sei Dank, finden wir auf Anhieb ein ziemlich einladendes Strandhotel. Ganz offenbar sind wir die einzigen Gäste. Trotzdem schmeißt die in die Jahre gekommene Wirtin nur für uns die Küche an und kredenzt uns am Abend ein köstliches Mahl mit fangfrischem Getier aus dem Pazifik.
Sand, Steine, Staub, alles fliegt mir am nächsten Vormittag um die Nase. Bahia liegt hinter uns und wir sind in die Fels- und Kakteenwüste zu Füßen des Vulkans Santa Evita unterwegs. Unser Ziel ist die Mission bei San Borja. 1762 errichtete ein Jesuit diese Station um Durchreisenden eine Herberge und Hilfe zu bieten. Tiefe, steinige, zum Teil sandige und ausgefahrene Fahrspuren führen durch das Outback. Riesige, viele Meter hohe Kakteen huschen an uns vorbei. Immer wieder lassen wir die BMWs ausrollen, um einfach die fantastische, beeindruckende Landschaft zu genießen, die absolute Stille auf uns wirken zu lassen. Trotz der weiten Strecke vergeht die Zeit wie im Flug und gegen Mittag halten wir im Schatten der steinernen Kirche. Nur noch eine einzige Familie lebt hier am Ende der Zivilisation. José Gerardo empfängt uns mit offenen Armen und erzählt uns von der Mission. Seine Frau zeigt uns die Kirche, auf deren Dach lässt sie uns dann schließlich ganz alleine klettern, damit wir die tolle Aussicht weit hinaus in die Kakteenwüste genießen können.
Irgendwann, unzählige Felsen, Kakteen, rot leuchtende Berghänge und kreisende Greifvögel später erreichen wir wieder den Highway 1. Die Tankstelle, auf die wir so angewiesen sind, wird gerade umgebaut und ist für Monate geschlossen. Aber Mexiko wäre nicht Mexiko, würde nicht auch davon jemand profitieren. Ein findiger Nachbar verkauft mit wenig Aufpreis Sprit aus dem Kanister. Selbst wenn er doppelt so teuer wäre, wir müssten ihn nehmen. Und wieder wechseln wir von der kühlen West- auf die heiße Ostseite. Mulege ist unser Ziel und Bill kennt natürlich das einladenste Hotel der Stadt. Direkt am Pool, gleich neben der Bar kühlen unsere Moppeds knisternd ab, während uns schon der erste Marguerita anlacht. Es wird nicht der Letzte bleiben an diesem Abend.
Richtig Kilometer machen wir am nächsten Tag – und jeder ein Traum. Ob entlang der palmen- und kakteengesäumten Küstenstrecken am Golf oder kurvenreich quer durchs heiße Hinterland, über die fast schon kühlen Höhenzüge in der Mitte der Baja oder hinüber zur noch kühleren Pazifikküste bei San Carlos, kein Meter wird langweilig, stets bleiben die Augen irgendwo hängen, fällt der Blick auf die bildschöne Landschaft. Für zusätzliche Abwechslung sorgen die steten Militärkontrollen und die riesigen Lastwagen, an denen wir mit einem kurzen Dreh am Gasgriff vorbei schießen.
Über La Paz kommen wir schließlich nach Cabo San Lucas – an den südlichsten Punkt der Baja. Zwei Tage bleiben wir hier, spülen uns im Meer den Staub der Wüste ab, lassen es uns beim „all inclusive“ des Luxushotels richtig gut gehen und stürzen uns ins abwechslungsreiche Nachtleben des über 56.000 Einwohner zählenden Badeortes. Welch ein Kontrast zur menschenleeren Weite der Baja.
Nur unsere BMWs scheinen von der Ruhepause nichts zu halten. Wir meinen beide, ihre fortwährenden Rufe nach uns zu hören. Okay, hilft alles nichts, am frühen Morgen des dritten Tages in Cabo San Lucas sitzen wir schon wieder auf den R 120 G/S und starten gen Norden. Im Tiefflug folgen wir dem Highway 1. Irgendwo in den Bergen westlich von La Paz laufen wir auf einen Polizeiwagen auf – gleiche Richtung, halbes Tempo. Lässig winkt eine dunkle Hand aus dem Fenster und fordert uns zum Überholen auf. Wohl das erste Mal, dass ich im Überholverbot, bei doppelter, durchgezogener Linie, schneller als erlaubt, eine Polizeistreife überhole – aber ich bin ja auch das erste Mal auf der Baja.
Ein gutes Stück hinter Ciudad Insurgentes setzen wir den Blinker zur nächsten Offroad-Etappe. Und wieder ist es eine Mission, die uns lockt: San Francisco Javiér de Viggé-Biaundó. Hinter diesem wohlklingenden Namen versteckt sich ein kleines Dörfchen, so unglaublich schön zwischen Felsen gelegen, mit einer beeindruckenden Kirche gesegnet, dass man sich eher in den künstliche Kulissen eines Indiana Jones-Film wähnt. Auf dem blitzsauberen Dorfplatz, gleich im Schatten der Kirche, lassen wir uns ein eiskaltes Pacifico servieren und spülen den Staub von wenigstens 80 Kilometern Sand- und Steinpisten durch die Kehle hinunter. Die nächsten 30 Kilometer bis Loreto sind – mal wieder – der totale Kontrast. Eine perfekt ausgebautes, breites Asphaltband mäandert durch ein abenteuerliches Bergland, fantastische Ausblicke wechseln sich mit 180 Grad-Kehren ab. Das bisweilen die Hälfte der Straße mal so eben in den Abgrund gerutscht ist, ohne dass irgendein Schild darauf hinweist, das ist eben die Baja.
Für den mehrtägigen Rückweg nach Kalifornien halten wir uns auf der westlichen, der Pazifik-Seite der Halbinsel. Der ständige Wechsel zwischen blauem Himmel, knackiger Wärme und dichten Nebelwänden, die eine angenehme Kühle bringen, ist durchaus reizvoll. Für die Abstecher zu den herrlichen Sandstränden, die das Meer hier in mühevoller Kleinarbeit schuf, bleibt stets genug Sonne übrig.
Im Trubel von Ensenada lassen wir schließlich unser Abenteuer Baja California ausklingen. Nochmal Tacos und Quesadillas, Enchiladas und Chili bis zum Abwinken, dazu eiskaltes Corona, das köstliche Bier mit Maisanteil, getunt mit dem Saft einer Limette und dazu der eine oder andere ordentliche Mezqal mit nicht weniger als 40 Prozent.
Als wir schließlich die Baja California und damit Mexiko über Tecate verlassen, erzählt mir Bill, was ich diesmal alles noch nicht gesehen habe. „Nur damit Du weißt, was Dich das nächste Mal erwartet!“