Hoch oberhalb der Bucht Barley Cove sitzen wir auf der breiten Steinmauer, lassen die Beine in Richtung Meer baumeln. Unter uns liegt die südlichste, vielleicht auch schönste Bucht Irlands. Unter einem strahlend blauen Himmel, gespickt mit weißen Wolken, schmiegt sich ein halbrunder, goldglänzender Sandstrand an das in unendlich vielen Grüntönen schimmernde Festland. Rechts von uns streckt eine Palme ihre Wedel in die klare, salzige Luft. Irland, die grüne Insel, macht ihrem Namen mal wieder alle Ehre.
Hier, am Mizen Head, lassen wir uns die Sonne ins Gesicht scheinen. Unten am Strand liegen ein paar Müßiggänger im Sand. Schreiende Möwen drehen unablässig ihre Runden und schauen, wo sie etwas abstauben können. Ein letzter Blick in die Runde, dann schwingen wir uns wieder auf die BMW und fliegen weiter in Richtung Kenmare. Die Strecke ist ein Traum. Hoch über dem blau glitzernden Meer führt die schmale Küstenstraße in unzähligen Kurven von einem spektakulären Ausblick zum nächsten. Immer wieder halten wir an, genießen das Panorama mit den kleinen, im Meer dümpelnden Fischerbooten, den geduckten, schneeweißen Farmhäusern inmitten der blühenden Heide und den markanten Felsen, die das Grün der Landschaft vom schäumenden Meer trennen.
Kurz vor Glengarriff werfe ich einen letzten verträumten Blick über die linke Schulter auf die Bantry Bay. Im gleichen Moment packt meine Sozia kräftig zu und weckt mich mit einem fast panischen "Pass auf!" aus meinen Tagträumen. Ich zerre kräftig am Bremshebel und sehe gerade noch ein wolliges, weißes Etwas mit dünnen schwarzen Beinchen auf der Straße an uns vorbei huschen. Glück gehabt! Laut einer offiziellen Statistik soll es derzeit rund fünf Millionen Schafe auf der irischen Insel geben. Die laufenden Teppiche halten sich meist nicht an irgendwelche Verkehrsregeln, überqueren mitunter überraschend die Straße. Das eine oder andere erlegte Schaf am Straßenrand zeugt davon, dass so etwas nicht immer gut ausgeht.
Etwas außerhalb von Kenmare finden wir in Richtung des Ring of Kerry einen ruhigen Campingplatz als ideales Basislager für spannende Touren im Südwesten. Ruckzuck steht das Zelt und weil wir keine Lust mehr haben heute Abend noch mal aufzubrechen, brutzelt wenige Minuten später ein leckeres Steak über dem Gaskocher. Dazu gibt es Chips, frisches Brot und natürlich die eine oder andere Dose Guinness. Das schmeckt nicht nur im Pub, sondern auch an der frischen Luft.
Beara ist unser klarer Favorit unter den drei großen Halbinseln des Südwestens. Natürlich haben auch Iveragh, eingefasst vom Ring of Kerry, und die nördlichste Halbinsel Dingle ihre Reize. Aber der Ring of Beara, der Healy Pass oder der Caha Pass quer durch die Caha Mountains sind unvergleichliches Motorradterrain. Wir starten unsere Rundtour in Glengarriff, decken uns gleich dort im Laden mit allerhand leckerem Zeug für das Picknick ein. Den Ring sollte man im Uhrzeigersinn befahren. Das hat den Vorteil, dass man auf der Seeseite unterwegs ist und der Ausblick aufs Meer so gleich noch grandioser erscheint. Die Küstenstraße führt regelmäßig ans Meer hinunter und durch die kleinen Orte wie Curryglass oder Castletownbere mit seinen in allen Farben gehaltenen Häuserfronten. Bis zum Garnish Point fahren wir hinaus, wo eine alte, schwankende Seilbahn über die weiße Gischt zwischen den Felsen hinweg auf Dursey Island hinüber fährt. Wir verzichten aus Angst vor Seekrankheit und fahren weiter nördlich durch das reizvoll bunte Eyeries. Den Abstecher weg von der Küstenstraße R571 in Richtung Kilcatherine Point und um die schmale kleine Halbinsel herum, lassen wir uns nicht entgehen. Wie eine Achterbahn führt die enge Trasse in Kehren, Kurven und Serpentinen hinauf und hinab und bietet fantastische Blicke über den Fjordähnlichen Kenmare River hinüber auf die Halbinsel Iveragh. Die wenigen Autofahrer, mit denen wir diese Traumstrecke teilen, fahren oft gleich links ran und lassen uns passieren. Aber eilig haben wir es hier nun wirklich nicht. Der 1847 erbaute Healy Pass ist mit Sicherheit der Höhepunkt Bearas. Ein Korkenzieher ist dagegen noch schnurgerade. Nach einem spannenden Aufstieg durch die einsame Landschaft mit ihren Felsen und kleinen Bachläufen begeistern uns auf der südlichen Seite die weiten Täler. Oben auf dem Pass, am Flat Rock, in rund 330 Meter Höhe, liegt die Grenze zwischen den Counties Kerry und Cork.
Vier, fünf Tage bleiben wir hier in der Region, erkunden Dingle, die nördlichste der Halbinseln und den reizvollen Killarney National Park. Die gemütlichen Pubs von Killarney lassen wir uns dabei genau so wenig entgehen wie die alte Abtei und die interessanten Gärten von Muckross. Die Schlucht des Gap of Dunloe teilen wir uns mit ein paar Pferdekutschen und einigen Wanderern. Im angrenzenden Black Valley fahren wir auf gut Glück auf engen Single Track Roads durch eine fast unberührte Landschaft, klettern in ausgewaschenen Flussläufen auf den Felsen herum und lassen es uns beim Picknick im Gras gut gehen.
Über Irlands größten Fluss, den Shannon, bringt uns die Fähre weiter nach Norden. Bald haben wir die urige Landschaft des Burren erreicht. Diese einzigartige 300 Quadratkilometer große Karstlandschaft besticht mit Ruinen, heiligen Quellen, Ringforts und uralten Keltenkreuzen. Graue Dolmen säumen die engen, kurvenreiche Wege durch den Karst, die meist von sorgfältig gesetzten Steinmauern begrenzt sind. Wie ein riesiges Labyrinth stehen die Mauern in der Landschaft. In Kilfenora staunen Kiki und ich im Besucherzentrum über die lebhafte Geschichte und die Entstehung der Region. Als echtes Highlight gönnen wir uns eine abendliche Tour bei Sonnenuntergang entlang des Black Head. Die schon fast surrealistisch wirkende Felsenlandschaft hinter uns und das funkelnde, leuchtende Meer, in der die rot glühende Sonne langsam versinkt sind ein unglaublicher Anblick. Lange sitzen wir noch auf den warmen Felsen und genießen einfach sprachlos diese unvergleichlichen Eindrücke.
Über den trubeligen Ort Galway mit seinen vielen Geschäften, Pubs und engen, netten Gassen erreichen wir am nächsten Tag Connemara. Auf dem Zeltplatz bei Roundstone treffen wir Sean, der aus Nordirland stammt. Regelmäßig tourt er mit seiner GS durch die Republik Irland. Bald hängen wir gemeinsam über der Michelinkarte und Sean versorgt uns mit prima Tipps für unseren Abstecher nach Nordirland. Am Abend machen wir zusammen die Pubs von Roundstone unsicher. Wir gönnen uns ein leckeres Irish Stew, den köstlichen Eintopf mit Lamm, Kartoffeln, verschiedenem Gemüse und ganz viel Zwiebeln und noch mehr Knoblauch. Die schwere Kost spülen wir natürlich mit einem guten Schluck Guinness durch die Kehlen.
Irgendwie fällt uns das Aufstehen am nächsten Morgen schwerer als sonst, eine Erklärung haben wir dafür natürlich nicht. Bald lassen wir Connemara mit seinen tollen Strecken, den verwinkelten Buchten und Küsten, den spannenden Klippen und seinen kleinen Dörfern hinter uns. Auf uns wartet Donegal, die nördlichste Grafschaft der grünen Insel. Nicht umsonst wird Donegal oft als das Alaska Irlands bezeichnet. Weite einsame Landschaften, der fischreiche River Owenwee, die fast 700 Meter hohen Blue Stack Mountains und die in weiten Teilen menschenleere Region des Glenveagh National Park lassen Parallelen erkennen. Wir steuern die Blue Stack Mountains an. Langsam verschwindet das Blau des Himmels, immer dichter, immer schwarzer werden die Wolken und einige Kilometer vor den Bergen machen wir wieder kehrt und flüchten vor dem heftigen, undurchsichtigen Regen, den wir langsam auf uns zu kommen sehen. Bis Killybegs schaffen wir es so gerade noch. Mit den ersten Regentropfen erreichen wir den Ort und quartieren uns in einem der urgemütlichen Bed and Breakfast-Häuser ein. Von unserer freundlichen Zimmervermieterin bekommen wir noch ein paar gute Tipps und am späten Abend geht es dann in eines der zahlreichen Inn's. Natürlich steht Lachs auf der Karte, schließlich ist Killybegs nicht nur ein Eldorado für Sportangler, sondern auch der wichtigste Fischereihafen im Südwesten Donegals.
Am nächsten Tag setzen wir mit der Fähre über das Lough Swilly nach Inishowen über, auf die nördlichste Halbinsel Irlands. Gleich in Sichtweite, dem Malin Head gegenüber, liegt Schottland. Jede Menge Fischerboote kreuzen hier gegen die Wellen und hüpfen wie Korken auf dem Wasser umher. Der Wind pustet uns trotz blauen Himmels ordentlich um die Ohren. Manche Böe rüttelt kräftig an der schweren Adventure, trotzdem lassen wir uns die traumhaften Küstenstraßen hier nicht entgehen. Das Lough Foyle führt uns schließlich wieder in Richtung Süden, auf die Grenze nach Nordirland zu. Ohne jede Grenzkontrolle finden wir uns kurz darauf in dem seit 1926 von der Republik getrennten Teil der irischen Insel wieder. Wir rollen durch Derry, wo noch heute der Konflikt zwischen katholischen Republikanern und protestantischen Unionisten, die unter der britischen Regierung verbleiben wollen, schwelt. Die zahlreichen Wandbilder in den Stadtteilen Derrys zeugen auf anschauliche Weise davon.
Belfast und Dublin, die beiden Hauptstädte an der Ostküste, sind die letzten Etappenziele unserer Tour rund um die grüne Insel. Zwei oder drei Tage lassen wir uns für jede der Metropolen Zeit, haben aber hinterher noch längst nicht alles gesehen, was die quirligen Städte so bieten. Knapp vier Wochen nach unserer Ankunft in Rosslare Harbour rollen wir wieder in den Fährhafen. Knapp 6000 Kilometer haben sich auf dem Kilometerzähler unserer GS hinzu addiert. Eine Menge Holz, dennoch haben wir auf der Insel, wie auch in den beiden Großstädten, vieles noch nicht sehen und genießen können. Und das ist auch gut so, denn bekanntlich ist nichts schöner als die Vorfreude und die nächste Irlandtour kommt bestimmt.